Reichspogromnacht 1938 Gedenken im Kirchener Heimatmuseum am 9. November 2022

Zum ersten Mal nach der langen Corona-Pause veranstalteten die Stadt Kirchen zusammen mit dem Kirchener Heimatverein wieder eine Gedenkstunde zur Reichspogromnacht 1938 in den Räumen des Museums.

In einem Grußwort eröffnete Verbandsbürgermeister Andreas Hundhausen die gutbesuchte Veranstaltung und überließ dann den Akteuren des Abends die Bühne.

In einem ersten Beitrag kam Hubertus Hensel, Vorsitzender des Kirchener Heimatvereins, schnell zur Sache. In Anlehnung an die Worte von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier betonte er die Verantwortung eines jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft in Bezug auf den Umgang mit Geschichte, denn der sei, so Hensel, mitunter mehr als gefährlich in der Umdeutung oder der zunehmenden Ahnungslosigkeit von lautstarken Protestlern.

Dies verdeutlichte Hensel anhand von Schüleräußerungen – Hensel ist Berufsschullehrer – zum Thema Nationalsozialismus, in denen u.a. von den „feigen Bombenangriffen auf Dresden“ und dem Bewusstsein der Erbschuld als deutschem pathologischen Phänomen die Rede war oder von einer „Gehirnwäsche“ durch die „ideologisch geprägten 68er“. Das Unfassbare daran sei, so Hensel, dass immer mehr die Neigung zur Verharmlosung bestehe, zur Verdrehung von der Täterrolle in die Opferrolle und vom Wegducken eines großen Teils, nicht nur der Schüler, sondern auch der Bevölkerung. Dies verdeutlichte er auch anhand von Zeitungsberichten über einige Demonstrationen, in denen junge sogenannte Querdenker verkündeten, sie fühlten sich wie Sophie Scholl (die bekanntlich um ihr Leben fürchten musste) weil sie gegen die Coronamaßnahmen protestierten und andere, die im KZ-Hemd mit einem Judenstern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ herumliefen. Letztere setzen sich dadurch mit Mordopfern, mit den Leidenden in Konzentrationslagern gleich, was völlig geschmacklos und inakzeptabel sei. Zum Abschluss berichtete er noch von einem Kündigungsschreiben, dass er als Vorsitzender des Heimatvereins erhalten habe, in dem ebenfalls der Kern des demokratischen Miteinanders zum Thema gemacht wurde. Zeile für Zeile ging er auf die geschichts- und realitätsverzerrenden Äußerungen des ehemaligen Mitgliedes ein, während sich unter den Zuhörern, welche das Schreiben auf einem großen Monitor mitlesen konnten, Fassungslosigkeit breit machte. Hensels Appell: „Die Wahrheit darf nicht sterben, auch wenn es heute so schwierig ist wie noch nie angesichts der Flut von fake-news. Deshalb müssen wir die Erinnerung an die dunkelsten Jahre unserer Geschichte wachhalten.“

In einem zweiten Beitrag erinnerten Schüler des Betzdorfer Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums an ehemalige Schüler der Bildungseinrichtung, welche während der NS-Zeit aus Deutschland fliehen mussten und deren Familienmitglieder zum Teil dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer gefallen sind. Lealisann Jakob, Jan-Felix Volk und Anna Rüggeberg berichteten von Klaus Tobias aus Betzdorf, Otto Moses aus Kirchen und Leo Abraham aus Altenkirchen. Sehr eindrucksvoll berichteten die Schüler des Leistungskurses Geschichte von Lehrer Hanns Göbel die schicksalshaften Momente der ehemaligen Schüler des Gymnasiums, wie sie ihre Freunde und Heimat verlassen mussten um ohne Sprachkenntnisse z.B. in Südamerika ein neues Leben aufzubauen und wie etwas Leo Abraham dann doch noch seine Frau und die beiden Kinder im Konzentrationslager verlor. Es sind immer wieder erschütternde Momente, wenn man sich die Einzelschicksale vor Augen hält, wenn junge Menschen davon in dieser Ausführlichkeit berichten.

Von li.: Jan-Felix Volk, Lealisann Jakob u. Anna Rüggeberg; im Hintergrund Bilder von Otto Moses

In einem letzten Beitrag berichtete Dr. Johannes Pfeifer vom Kirchener Heimatverein von einer Klassenfahrt zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Auf der Rückfahrt wurden über eine Bluetooth-Box antisemitische Lieder abgespielt und die Textpassagen von einigen Schülern lautstark mitgesungen. Die Schulleitung erstellte Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Während die Aktion bundesweit in den Medien bekannt wurde, stellte die Polizei schließlich die Ermittlungen ein, da es sich um einen nichtöffentlichen Raum gehandelt habe. Damit wollte sich die Schulleitung aber nicht begnügen und nahm Kontakt mit dem Antisemitismus-Beauftragten des Landes Hessen auf, so Dr. Pfeifer. Am 1. Januar 2021 sei es zu einer Änderung der Strafgesetzgebung auf Bundesebene gekommen, was Hoffnung in Sachen Demokratie geben könne, wenn man sich denn entsprechend einsetze, so Dr. Pfeifer weiter. Heute sei das Singen antisemitischer Lieder auch im Rahmen von Schülerfahrten eine Straftat. Es lohne sich also durchaus, nationalsozialistischem und antisemitischem Gedankengut entgegenzutreten.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Peter Zöller am Keyboard und Karl-Heinz Dorka an der Gitarre. Dorka, der jüdische Lieder, passend zur Thematik des Abends ausgesucht hatte, ließ es sich nicht nehmen, kurz auf die Inhalte und Zusammenhänge dieser Lieder einzugehen, was bei allen Zuhörern bestens ankam.

Peter Zöller (li.) am Keybord und  Karl Heinz Dorka an der Gitarre und Gesang

 

Heimatmuseum Kirchen, Wiesenstraße 7,

Öffnungszeiten: jeweils die ersten drei Sonntage im Monat, 14 bis 17 Uhr,
für Gruppen auf Anfrage
unter Tel. (0 27 41) 6 35 43.