Ein Blick hinter die Kulissen der Kirchener Millionärs-Villen

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In Kirchen gibt’s jetzt einen historischen Weg, der insbesondere an die Zeit erinnert, in der Kirchen einen legendären Ruf als „Dorf der Millionäre“ hatte. Hubertus Hensel und Dr. Johannes Pfeifer nehmen Interessierte gerne mit auf einen Abstecher in die Heimatgeschichte.

Foto: Daniel Montanus

In vielen Städten gibt es geführte Touren durch die Stadtgeschichte – aber ausgerechnet im „Dorf der Millionäre“
fehlt dieses Angebot bislang. Jetzt schließt der Heimatverein diese Lücke: Was wird den Besuchern geboten?                 SZ 10.Juni 2024

Von Daniel Montanus

KIRCHEN. Es braucht kein Geschichtsstudium – es reicht, mit offenen Augen durch Kirchen zu laufen: Auch heute noch ist im Stadtbild kaum zu übersehen, dass Kirchen einst in ganz Preußen als „Dorf der Millionäre“ bekannt war. Ob an der Bahnhofstraße, an der Lindenstraße oder im Oberdorf: Viele prächtige Villen künden noch immer vom Glanz vergangener Jahrzehnte. Aber wie‘s so ist mit dem Glanz: Wenn er nicht gepflegt wird, neigt er zum Verblassen. In diesem Wissen hat der Kirchener Heimatverein ein Projekt gestemmt: Kirchen bekommt jetzt einen historischen Weg – an mehr als 40 Stationen wird die Heimatgeschichte lebendig gehalten. Und wer auf dem historischen Weg durch die Stadt läuft, erfährt erstaunlich viele Details über die prächtigen Gebäude und vor allem über die Menschen, die sie geschaffen haben.
„Wohin man auch geht, wohin man auch schaut: Man trifft auf dem historischen Weg immer auf das ‚Dorf der Millionäre‘“, stellt Hubertus Hensel klar. Der Vorsitzende des Heimatvereins ist der Ideengeber des historischen Wegs: Hensel hat sich gefragt, warum es in vielen anderen Städten geführte Touren oder speziell ausgewiesene Routen gibt, die über die Heimatgeschichte informieren – aber ausgerechnet in Kirchen ein solches Angebot fehlt. Denn gerade hier gibt es viel zu erzählen, schließlich gab es spätestens ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Kirchen, gemessen an der Einwohnerzahl, so viele Millionäre wie sonst nirgends in Preußen.
Die Industriellen, darunter die Familien Kraemer, Stein und Jung, haben das Stadtbild und das Leben geprägt – es ist kein Zufall, dass in Kirchen früh die Elektrizität eingeführt wurde, das Schulwesen einen großen Schritt nach vorn getan hat und sich an der Schulstraße einst Geschäft an Geschäft gereiht hat. Und dass eben die vielen prächtigen Gebäude entstanden sind, die auch noch den Reichtum ihrer Erbauer erahnen lassen.
Zum Glück pflegt der Kirchener Heimatverein ein umfassendes Archiv: Die Ehrenamtler haben unzählige Schriftstücke zusammengetragen, mindestens genauso viele Anekdoten und Geschichten gehört und in ihren Köpfen gespeichert und zudem unzählige alte Fotografien gesammelt. Und genau dieser Schatz ist die Grundlage für den historischen Weg.
Denn Hubertus Hensel und sein Stellvertreter Dr. Johannes Pfeifer haben nicht nur eine Route ausgetüftelt, auf der sich die wichtigsten Punkte der Kirchener Heimatgeschichte bequem zu Fuß ablaufen lassen: Sie haben zudem 40 Schilder konzipiert, die die wichtigsten Eckdaten anschaulich vermitteln.
Die ersten Schilder sind bereits im Stadtbild zu entdecken. Aber es werden immer mehr: „Wir sind dabei, weitere Schilder zu platzieren“, erklärt Pfeifer. Versehen mit einem QR-Code, gewähren die Tafeln einen tiefen Einblick in die Kirchener Stadtgeschichte. Noch ist die Route nicht fertiggestellt; daher ist es derzeit noch nicht vorgesehen, dass Ortsfremde auf eigene Faust durch die Stadt ziehen und die Heimatgeschichte erkunden. „Das ist aber geplant“, erklärt Hensel, „irgendwann sollen die Leute alleine in der Lage sein, auch ohne Ortskenntnisse den Gang durch die Stadt zu machen.“

Wohin man auch geht, wohin
man auch schaut: Man trifft
auf dem historischen Weg immer
auf das „Dorf der Millionäre“.

Hubertus Hensel
Vorsitzender des Kirchener Heimatvereins

Bis es so weit ist, bietet der Heimatverein aber eine hübsche Alternative: geführte Touren durch die Stadt. Viermal im Jahr begeben sich Hensel und Pfeifer mit allen Interessierten auf den historischen Spaziergang durch Kirchen, und zwar inklusive Story-Telling. „Das ist viel lebendiger, als wenn die Leute alleine losziehen“, meint Hensel.
Los geht‘s am Kirchener Bahnhof, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Einfallstor ins Dorf der Millionäre war. Von hier aus ist‘s nicht weit zu den repräsentativen Bauwerken an der Bahnhofstraße, in denen einst die Bergwerksgesellschaften ihre Büroräume hatten. Aber die erste Station ist eine andere, und zwar eine traurige: Vor dem Kirchener Krankenhaus erinnern Stolpersteine an das Schicksal der jüdischen Familie Moses – auch die dunklen Kapitel der Stadtgeschichte werden nicht ausgeklammert. Durch die Lindenstraße, die vor 150 Jahren sicher eine der prächtigsten Flaniermeilen weit und breit war, geht‘s hinauf ins Oberdorf bis zum Jung‘schen Stammhaus – unter anderem vorbei am Haus Lackner-Mosblech: Erbaut wurde es unmittelbar nach dem verheerenden Brand im Jahr 1676, damit ist es eines der ältesten Gebäude der Stadt.
Nach dem Abstecher zu einigen Villen geht‘s schließlich hinab ins Tal. Und die letzte Station beim Stadtrundgang ist der Friedhof mit den Millionärsgräbern. All das dauert zwei Stunden – und wer den Spaziergang mitgemacht hat, wird Kirchen anschließend mit anderen Augen sehen.
Der nächste offizielle Termin für die historische Stadtführung ist der 30. Juni. Aber Hensel und Pfeifer haben selbst so viel Spaß, ihr Wissen zu teilen, dass sie auch zusätzliche Termine anbieten: Interessierte Gruppen können über die Homepage des Heimatvereins Kontakt aufnehmen.