Dürfen sich für das neue Heimatblatt ruhig einmal selbst auf die Schulter klopfen: Klaus Pruß, Karl-Herman Stühn, Dr. Johannes Pfeifer und Hubertus Hensel (v. l.) vom Heimatverein. Die dunklen Kapitel der NS-Geschichte werden nicht mehr ausgeklammert
Das Heft bietet einen sehr interessanten Themenmix.
thor ■ Die Entscheidung des Vorstands des Kirchener Heimatvereins aus dem vergangenen Jahr, das Erscheinungsbild des beliebten Heimatblattes radikal zu verändern – sie hat sich als goldrichtig erwiesen. „Es ist insgesamt sehr gut angekommen, selbst die Skeptiker sind überzeugt“, sagte Vorsitzender Hubertus Hensel am Donnerstag bei der Vorstellung der neuen Ausgabe. Zum zweiten Mal erscheint das Heimatblatt im neuen „Look“. Doch nicht nur deshalb ist man geneigt zu sagen, dass Heft 38 einen herausragenden Platz unter all den Publikationen einnimmt. Denn der Kirchener Heimatverein beweist damit, dass er nicht nur optisch bereit ist, neue Wege zu gehen, sondern auch inhaltlich. Eben weil es mutige Wege sind.
Es geht um das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, das auch in Kirchen seine Spuren hinterlassen hat. „Wir werden uns intensiver mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen“, kündigte Hensel an. Einen ersten Beleg liefert das Heimatblatt, und zwar nicht nur an einer Stelle.
In einem Gastbeitrag räumt der Betzdorfer Historiker Dr. Thomas Bartolosch mit dem Mythos von Otto Kasch als unbescholtenem Heimatdichter auf. Anhand einer 1934 erschienenen Ausgabe der „Volkswacht“ (aus dem Archiv des Heimatvereins) legt er dar, dass der Kirchener ein überzeugter Nationalsozialist und Funktionär war. „Es war allerhöchste Zeit, dass man auch mal die andere Seite von Kasch zeigt“, betonte Hensel, der schon in seinem Vorwort darauf hingewiesen hatte, dass Kasch zu den Gründungsmitgliedern der NSDAP-Ortsgruppe gehörte.
Aber auch Dr. Johannes Pfeifer befasst sich mit dieser Zeit. Inspiriert von einem gemeinsamen Ausflug mit seinem Onkel Hubert Molzberger nach Remagen, interviewte er eine Reihe von Kirchenern, alle Jahrgang 1929 bzw. ’30. Die Zeitzeugen schilderten ihm, wie sie einst Hitlerbilder erhielten, wie sie damit umgingen, wie die Reaktionen in den Familien aussahen, wie denunziert und Angst verbreitet wurde. Beigefügt ist ein Foto der HJ-Bannführerschule in Offhausen – ein Beleg dafür, dass der Einfluss der braunen Machthaber bis ins kleinste Dorf reichte.
Hensel jedenfalls wünscht sich bei diesen in der Vergangenheit eher mit spitzen Fingern angepackten Themen eine möglichst sachliche Diskussion, auch wenn der eine oder andere Name genannt werde.
Ein zweiter Schwerpunkt des Heimatblatts bilden drei große Vereinsjubiläen, wobei es sich eher um Institutionen handelt: 125 Jahre MGV „Liederkranz“, 100 Jahre „Fahrende Gesellen“ und 50 Jahre Klickerverein. Karl-Hermann Stühn, selbst aktiver Sänger, erinnerte daran, dass der „Liederkranz“ 1969 noch 90 Aktive hatte, mittlerweile passt die Überschrift „Hurra – wir leben noch“. Auch für den Klickerverein fand man den passenden Titel : „Von einer Schnapsidee zur Erfolgsgeschichte.“ Angesichts einer Spendensumme von über einer halben Million Euro ist jedes Gespött über den 1. KKV längst verstummt. Der Beitrag über die „Fahrenden Gesellen“ ist schließlich ein Spiegelbild für das Auf und Ab in der Vereinslandschaft.
Pfarrer i. R. Eckhard Dierig hat sich mit einem besonderen Text von den Heimatfreunden verabschiedet. „Predigten in Stein“, so ist der Aufsatz überschrieben, in dem er sich mit den „Botschaften“ auf den Kirchener Grabsteinen, vor allem aber mit der christlichen Symbolik beschäftigt. „Eine sehr interessante Sache, er hat das ganz toll gemacht, lobt Hensel. Uwe Bronnert arbeitet auf gleich mehreren Seiten nochmals den „Fall Quirbach“ auf. Das alles und noch viel mehr gibt es im Heimatblatt zu lesen.
Der Vorstand würde sich über viele Rückmeldungen freuen, gerne auch per Telefon, da es derzeit wieder keine Gelegenheit zu persönlichen Treffen gibt. Das Museum bleibt weiterhin geschlossen, die Mitglieder kümmern sich derweil weiter um das Archiv. Was den geplanten historischen Weg durch Kirchen angeht, so hofft der Vorsitzende, dass sich nach zehnjähriger Vorlaufzeit in diesem Frühjahr endlich Konkretes entwickeln wird.
Es war allerhöchste Zeit, dass man auch mal die andere Seite von Kasch zeigt.
Hubertus Hensel Heimatverein Kirchen
Quelle: Foto & Text Thorsten Stahl – SZ vom 03. Dezember 2021
Erhältlich ist das Heimatblatt an folgenden Stellen: Blumenhaus Schüller, Buchhandlung Decku, Druiden-Apotheke, Gertruden-Apotheke, Kreissparkasse, Tabak & Co, Tintenfass (alle Kirchen), Buchhandlung MankelMuth (Betzdorf) und Salon Lydia Selbach (Wehbach).